- Riten und Feste der Latiner: Der Schutz des Hauses und der Gemeinschaft
- Riten und Feste der Latiner: Der Schutz des Hauses und der GemeinschaftDie latinischen Hirten und Bauern, die im 8. Jahrhundert v. Chr. auf den Hügeln nahe der Tiber-Mündung siedelten, glaubten an unbestimmte übernatürliche Mächte. Das eigentliche Wesen dieser Geister blieb zwar verborgen, doch durch ihre Wirkungen - sie halfen oder schadeten - stellten sie ihre Existenz unzweifelhaft unter Beweis. Mit Opfern, Gebeten, Tabuvorschriften und magischen Riten, die heute nach Abwehr-, Reinigungs- und Entsühnungszeremonien unterschieden werden, versuchte man, die bösen Dämonen zu versöhnen oder zu bannen und sich die guten dienstbar zu machen.Diese übernatürlichen Kräfte, die die ganze bäuerliche Lebenswelt bestimmten, somit auch für das Wetter, das Gedeihen der Saaten, den Schutz des Viehs, die Sicherheit des Grundstücks und des Hauses verantwortlich waren, wurden mit der Zeit immer stärker differenziert und bekamen immer exaktere Zuständigkeiten zugewiesen. So war für das Gedeihen der Feldfrüchte nicht nur eine einzelne Macht zuständig, sondern für jede Wachstumsphase eine andere.Manche dieser Gewalten, anfangs ohne menschliche Gestalt gedacht, wurden später personifiziert und stiegen in den Rang einer Gottheit auf. Vorerst verehrte man sie an Altären unter freiem Himmel. Tempel und menschenähnliche Götterbilder gab es, unter etruskischem Einfluss, erst seit dem 6. Jahrhundert v. Chr.Auch jeder wichtige Teil des Hauses hatte seine eigene Gottheit. Die Vorratskammer und dann das gesamte Hausinnere behüteten die - nur im Plural auftretenden - Penaten. Hingegen waren die Laren zunächst die nicht weiter bestimmbaren guten Geister des ganzen bäuerlichen Anwesens, bevor auch sie, als Kollektiv oder als einzelner Gott im Haus verehrt wurden. Den Penaten und/oder Laren und wohl auch der Feuergöttin Vesta war der als heilig geltende Herd zugeordnet. Für die Schutzmächte des Hauses wurden bei jeder Mahlzeit Speisen und Getränke an den Herd gestellt. Das Opfer sollte die Lebenskraft der Gottheit stärken, damit sie weiter für den Menschen tätig sein konnte.Übernatürliche Mächte walteten nicht nur in der Natur und den Dingen, sondern auch in jedem einzelnen Menschen: Der Genius im Mann und die Juno in der Frau sind identisch mit den als göttlich erkannten Fähigkeiten des Zeugens und des Gebärens. Da die Fähigkeit des Zeugens den Fortbestand der Familie sicherte, verehrte man in der patriarchalischen Gesellschaft vor allem den Genius des Familienoberhauptes, des Pater familias: Ihn rief man an beim Schwur, ihm weihte man am Geburtstag Opfergaben. Anders als der Genius, der immer an die einzelne Person gebunden blieb, entwickelte sichJuno früh zu einer selbstständigen Frauengöttin.Die Felder bedurften des besonderen Schutzes vor der bedrohlich erlebten unbestellten Umwelt. Jeweils im Mai fanden die Ambarvalia statt, bei denen ein Schwein, ein Schaf und ein Rind im feierlichen Umgang um die Gemarkung geführt und dann geopfert wurden. Hauptfest der Laren waren die Compitalia, die nach Beendigung der Feldarbeit mit einem Opfer an den Gemarkungsgrenzen begangen wurden. Ein gesondertes Fest, die Terminalia, galt Terminus, dem Gott des Grenzsteins. Die Lupercalia dienten ursprünglich der Abwehr von Wölfen: Die nur mit einem Ziegenschurz bekleideten Priester liefen um den Palatin und schlugen mit Riemen aus dem Fell des Opfertieres die Menschen, die ihnen begegneten. Dieser Ritus sollte Unheil vertreiben und die Fruchtbarkeit fördern. Mit der Zeit sanken die Lupercalia zur Volksbelustigung herab und wurden, so wie viele der urtümlichen Bauern- und Hirtenfeste, auch noch gefeiert, als sie ihren eigentlichen Sinn längst verloren hatten.Die kultischen Bräuche des einzelnen Bauernhauses übernahm nach dem Zusammenschluss der Siedlungen zur Stadt Rom um 600 v. Chr. die Gemeinde als Ganzes: Die Kulte sicherten den religiösen und sozialen Zusammenhalt der neuen Gemeinschaft.Wie das Haus so besaß auch der Staat seine eigenen Penaten und seine eigene Vesta. Auch hier wurde zum Schutz der Gemarkung der Gemeinde das Fest des Grenzsteins begangen. Die feierliche Flurbegehung vollzogen nun die Arvalen, eine besondere Priesterschaft.Kriegerische Riten kamen neu hinzu: Vor und nach den militärischen Auseinandersetzungen mit den Nachbarstämmen mussten Waffen und Pferde entsühnt und gereinigt werden. Die »Salier«, im eigentlichen Wortsinn »Springer« oder »Tänzer«, bestanden aus zwei priesterlichen Bruderschaften. Sie führten Waffentänze auf und rezitierten ein Gebet, das zum repräsentativen Gebet des römischen Staates wurde; es lässt sich allerdings nicht mehr sicher rekonstruieren.Jupiter und Mars gehörten zu den großen Göttern, die anders als die bäuerlichen Gottheiten meist vielfältige Funktionen auf sich vereinigten und von der gesamten Gemeinde verehrt wurden. Im Jupiter-Tempel betete man auch zu Mars.Im ältesten Festkalender aus der Königszeit sind Jupiter als dem Gott des himmlischen Lichtes die Iden, die Mitte eines jeden Monats, die Tage des Vollmonds, geweiht. Die bäuerliche Bevölkerung opferte ihm als Gott des Wetters und der Blitze. Mit dem Beinamen »Latiaris« wurde er als Beschützer des Latinischen Bundes verehrt. Sein Fest, die jährlich begangenen Feriae Latinae, gehörte zu den hochoffiziellen Feierlichkeiten, an denen alle römischen Beamten teilnahmen. Schon seit alter Zeit galt Jupiter als der Schutzherr Roms und wurde als Iupiter Optimus Maximus im Jupiter-Tempel auf dem Kapitolshügel, auf dem sich mehrere Heiligtümer und die Zitadelle befanden, als oberster Staatsgott angebetet.Bis in die Königszeit lässt sich der Kult des altitalischen Mars zurückverfolgen, des nach Jupiter wichtigsten Gottes der Römer. Aus der agrarischen Gottheit ist bald der Kriegsgott geworden. Der März, der Monat, in dem nach dem Winter ein Feldzug beginnen konnte, wurde nach ihm benannt.Quirinus, der mit Jupiter und Mars die älteste römische Göttertrias bildete, war ursprünglich die Ortsgottheit des Quirinals, eines der Sieben Hügel Roms. Seine Zuständigkeiten überschnitten sich bald mit denen des Mars, sodass seine Bedeutung zurücktrat; aber die wohl unterGaius Julius Caesar erfolgte Gleichsetzung mit dem vergöttlichten Romulus, dem Gründer Roms, verschaffte ihm neues Ansehen.Dr. Ursula Blank-SangmeisterGiebel, Marion: Das Geheimnis der Mysterien. Antike Kulte in Griechenland, Rom und Ägypten. Taschenbuchausgabe München 1993.Simon, Erika: Die Götter der Römer. München 1990.
Universal-Lexikon. 2012.